Vom Angeber zum Verzeiher

Josef

Gottes tolle Typen

Angeber sind mir so lieb wie Bauchweh. Noch dazu, wenn sie petzen. Josef ist so einer. Der hält seinen Vater Jakob über den schlechten Ruf, den seine Halbbrüder genießen, immer auf dem Laufenden. Was jene tierisch fuchst. Man kann es verstehen.

Kommt hinzu, dass dieser Sohn der späten Jahre Papas Liebling ist. Das verleitet den Vater zur Bevorzugung. Und so etwas ist nicht klug. Stärker noch als heute machen Kleider damals Leute und deren soziale Rangordnung deutlich. Der Knabe Josef wird in feines rotes Tuch gesteckt, das bis zu den Knöcheln reicht, wie es eine Prinzessin trägt. Das weckt den Neid der Brüder und macht den Jüngsten nicht beliebter.

Und dann diese beiden Träume, wonach Josef alle an Bedeutung überragen wird, sogar Vater und Mutter sich vor ihm verneigen werden. Jetzt ist die Verwandtschaft vollends auf der Palme. Als Josef eines Tages nach den Brüdern sieht, die Vaters Herden weiden, beschließen sie, ihn zu töten. Sie schmeißen ihn zunächst in eine Zisterne, doch als eine Karawane vorbeizieht, verkaufen sie ihn für zwanzig Silberstücke als Sklaven in Richtung Ägypten. Dem Vater bringen sie das blutige Hemd und machen ihm weis, ein wildes Tier habe Papas Herzblatt zerrissen.

Josef in Ägypten. Von nun an geht es bergauf. Mit leichter Eintrübung zwar,weil Josef sich weigert, mit der Frau des Chefs der königlichen Leibgarde zu schlafen. Sein verschmähter Sex kommt nicht gut, sie streut im Zorn das Gerücht, Josef habe sie vergewaltigen wollen, weshalb er erst einmal im Knast landet. Doch er gewinnt die Gunst des Gefängnischefs, wird Aufseher über alle Gefangenen und erweckt Aufmerksamkeit durch seine Gabe, Träume deuten zu können. An diese Fähigkeit erinnert sich der König, als ihn selbst Halluzinationen plagen. Josef sagt voraus, dass sieben Jahren des Überflusses eine ebenso lange Zeit des Hungers folgen wird und schlägt ein Programm zur Minderung des Mangels vor. Er wird selbst mit dessen Durchführung beauftragt und steigt zum obersten Beamten des Pharao auf.

Als auch seinem Vater Jakob und dessen Familie in Kanaan das Getreide ausgeht, schickt der zehn seiner elf Söhne ins Nachbarland. Josef erkennt sie und rächt sich für ihre Heimtücke, indem er sie zunächst verdächtigt, Spione zu sein, welche die Not nutzen, um Schwachstellen im Land auszuspähen. Ihre Kornsäcke lässt er leer, einen der Brüder nimmt er als Geisel, und zum Beweis ihrer redlichen Absicht fordert er das Erscheinen auch des Jüngsten. Der besorgte Vater lässt ihn nur ungern ziehen, aber die Not ist zu groß. Bevor Josef sich schließlich zu erkennen gibt, die Säcke füllen und das Geld, das die Brüder mitgebracht haben, wieder hineinlegen lässt, jagt er ihnen noch den einen oder anderen Schrecken ein. Später zieht Jakob auf Einladung des Pharao mit der Sippe in Josefs neue Heimat. Nach seinem Tod wird seine Leiche einbalsamiert und ins Familiengrab gebracht, einer Höhle bei Hebron. Auch Josefs Leichnam wird konserviert. Jahrhunderte später nimmt Mose beim Auszug aus Ägypten Josefs Gebeine mit in das Land der Verheißung.

Die Erzählung von Josef und seinen Brüdern, eine kunstvoll gestaltete Komposition, hat längst den Rang großer Weltliteratur. Weit und erschlungen ist der Weg von den Träumen des Knaben bis zu ihrer Erfüllung, vom Zerwürfnis mit den Brüdern bis zur Versöhnung, vom Verlust des Lieblingssohnes bis zum Wiedersehen. Er führt durch Tiefen von Irrungen, Wirrungen und Leiden endlich ins Glück. Thomas Mann hat mit seinem gewaltigen Roman die Erinnerung an die Josefsgeschichte wachgehalten. Sie ist wie eine Fabel für den Sieg der Großmut über die Feindseligkeit und ein Beispiel dafür, dass ein umsichtiger junger Mann auch in der Fremde Karriere machen kann.

Hans-Albrecht Pflästerer, EKD-Homepage 01.11.2010