»Geht, zeigt euch den Priestern.« Mit diesen Worten schickt Jesus die zehn leprakranken Männer zur zuständigen Gesundheitsbehörde. Die Priester hatten darüber zu befinden, ob sie als Geheilte wieder in ihre Familien und in die menschliche Gesellschaft zurück dürfen. Während die anderen neun zu den Priestern gehen, um sich deren Plazet zu holen, kehrt der eine um, um sich Jesus zu Füßen zu werfen, um, seinem Retter zu danken und Gott lautstark zu loben. Die gesetzlichen Vorschriften kann er noch immer erfüllen, aber fürs Lob- und Danksagen gibt es für ihn keinen Aufschub. Das ist momentan das Wichtigste und Vordringlichste. Seine neun Schicksalsgefährten können es nicht erwarten, ihren Freibrief zu bekommen, um sich ins volle Leben zu stürzen. Ihr Lebenshunger ist verständlich, ist ihnen doch unverhofft das Leben neu geschenkt worden, und das wollen sie jetzt in vollen Zügen auskosten. Schwer vorstellbar, dass sie tatsächlich auch den vergessen haben, der ihnen ihr neues Leben geschenkt hat. Unfassbar, dass sie so undankbar und pflichtvergessen gewesen sind. Ob sie es auch geblieben sind oder vielleicht doch später Jesus aufgesucht und ihm den schuldigen Dank abgestattet hatten? Wir hätten es sicher getan, wir hätten ihn zum Zeichen unseres Dankes mit Geschenken überhäuft. Tun wirr doch! Warum tun wir es nicht? Warum tun es neun von zehn nicht? Denn so ungefähr wird das Verhältnis immer noch sein: ein dankbarer zu neun undankbaren Menschen.
Überprüfen wir unsere Gebetspraxis, dann werden wir vielleicht feststellen,
dass das Verhältnis zwischen Bitten und Danksagen neun zu eins ist. Manche werden zugeben müssen, dass sie überhaupt nur beten, wenn sie nicht mehr ein und aus wissen, das Loben und Danken im Gebet nicht kennen. Das kommt daher, dass wir das Schöne und Gute im Leben als selbstverständlich annehmen und genießen, bei Schicksalsschlägen oder schon bei kleinen Unannehmlichkeiten furchtbar aufgebracht sind und Gott und die Welt anklagen. Je besser es einem geht, desto weniger zufrieden und dankbar ist man. So sieht es aus. Es ist hingegen bekannt, daß zum Beispiel Kranke, Behinderte und alte Leute für jede Zuwendung und Aufmerksamkeit unendlich dankbar sein können. Andere schöne Beispiele gibt es auch: Eine Touristin am Neusiedler See war ganz entzückt, als auf einmal ein Silberreiher majestätisch über das Wasser flog, noch dazu gelang ihr mit der Kamera ein herrliches Bild. Diese Frau brach in Jubelrufe uns und strahlte uns Umstehende an: »Der Herrgott ist so gut, dass er mir dieses schöne Erlebnis geschenkt hat.« Dankbarkeit für die kleinen Freuden des Lebens und Zufriedenheit, auch wenn das Leben so gewöhnlich und ohne besondere Höhepunkte dahingeht: Sind das Haltungen, die wir verlernt haben?
Im Übrigen können wir vom großen Dulder Hiob aus dem Alten Testament lernen: »Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?«
Quelle: Freund, Juni 2009, Seite 29 Herausgeber: Charles Reichenbach,